Warum sich Kommunikatoren mehr mit ihrer Stimme beschäftigen sollten

Wir benutzen sie ständig, täglich und teilweise sogar im Schlaf. Bereits kurz nach der Geburt setzen wir sie reflexartig ein. Ohne sie wären wir eines unserer wichtigsten Ausdrucksmittel beraubt. Es geht um unsere Stimme. Mit ihr können wir im Gegensatz zu anderen Lebewesen nicht nur Laute produzieren, sondern diese auch im Rahmen eines komplexen Sprachsystems einsetzen. Möglich macht dies das Zusammenspiel von rund 120 verschiedenen Muskeln.

Auch UnternehmenskommunikatorInnen oder KommunikationsberaterInnen nutzen ihre Stimme täglich im beruflichen Kontext: Um mit Kunden zu telefonieren, sich im Meeting zu artikulieren oder Journalisten ein Thema zu erklären. Doch aus meiner Erfahrung setzen sich die wenigsten KommunikatorInnen bewusst mit ihrer Stimme auseinander. Kaum jemand hat ein intensives Sprechtraining oder gar eine professionelle Stimmausbildung absolviert.

Stimme wirkt vor allem unterbewusst

Dabei ist unsere Stimme ein komplexes und mächtiges Werkzeug. Umso trauriger ist, dass sie häufig unterschätzt wird. Sie ist nicht nur einmalig wie ein Fingerabdruck und damit wesentliches Merkmal der Persönlichkeit, sondern auch Spiegel der emotionalen Stimmungslage. Gleichzeitig entscheidet sie darüber, ob uns jemand sympathisch findet oder nicht. Dafür sorgt der sogenannte psychorespiratorische Effekt: Menschen imitieren andere unterbewusst, wenn sie ihnen zuhören. So beruhigen uns beispielsweise sonore Stimmen, während uns schrille Stimmen nerven. Wir können uns sogar in eine Stimme verlieben, wie uns beispielsweise der Film HER bewusst macht. Außerdem halten wir jemanden nur für glaubwürdig und überzeugend, wenn das Gesagte auch dazu passt, wie etwas gesagt wird. In der PR-Branche, wo es u.a. darum geht, Botschaften wie gewünscht zur Zielgruppe zu transportieren, ist es also essenziell, sich dieser unterbewussten Wirkung bewusst zu sein.

Durch mobiles Arbeiten nimmt Bedeutung der Stimme zu

Durch die geltenden Kontaktbeschränkungen und die verstärkte Nutzung von Home-Office in der Corona-Pandemie nimmt der Ton eine noch größere Rolle ein. Laut einer Bitkom-Studie von Dezember 2020 arbeiten rund 10,5 Millionen Berufstätige seit Beginn der Corona-Pandemie dauerhaft im Home-Office und treten dadurch weniger persönlich mit anderen in Kontakt. Um trotzdem regelmäßig mit KollegInnen und KundInnen zu kommunizieren, greifen sie auf Medien zurück, die stark vom Auditiven geprägt sind.

Ein Beispiel ist das Konferenztool Zoom: Dort schnellten nach Beginn der Corona-Pandemie die Nutzerzahlen in die Höhe: Im März 2020 war ein Anstieg der Nutzer um 110% im Vergleich zum Vormonat zu verzeichnen. Selbstverständlich ist Zoom ein VIDEO-Konferenztool. Aber das Sichtfeld ist stark eingeschränkt und Körpersprache lässt sich durch den Bildausschnitt nur bedingt wahrnehmen. „Hört ihr mich?“, „Du bist noch auf stumm!“ oder „Kannst du etwas lauter sprechen?“ – das sind Sätze, die wohl jeder schon einmal in Videokonferenzen gehört hat. Sie zeugen davon, dass der Ton trotz Videofunktion eine wesentliche Bedeutung einnimmt. Es kommt also noch mehr als im analogen Meeting darauf an, unserem Gegenüber die Botschaft angemessen über die Stimme zu transportieren. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme hilfreich.

Schutz vor dem Verlust der Stimme

Ein weiterer Grund, sich mit dem eigenen Klangkörper zu beschäftigen, ist der Schutz der eigenen Stimmgesundheit. Weil das Zusammenspiel der verschiedenen Muskeln beim Sprechvorgang so komplex ist, kann es hierbei zu Störungen kommen. Es geht allerdings nicht um eine kurzfristige Heiserkeit bei einer Erkältung, sondern um funktionelle Stimmstörungen. Dabei liegen keine erkennbaren organischen Veränderungen vor, aber die Leistungsfähigkeit der Stimme ist eingeschränkt und ihr Klang verändert. Zudem können aus funktionellen Stimmstörungen auf Dauer organische Veränderungen entstehen. Laut dem Deutschen Bundesverband für Logopädie e.V. leiden ca. 6% aller Menschen an solchen Stimmstörungen. BerufssprecherInnen wie LehrerInnen, SchauspielerInnen oder eben auch KommunikatorInnen haben ein erhöhtes Risiko dafür.

Wie können wir uns mit unserer Stimme auseinandersetzen?

Wie können wir uns einerseits vor Stimmstörungen schützen und andererseits die Varianz in der Stimme sowie das Bewusstsein für die eigene stimmliche Wirkung steigern? Ist man oft heiser oder besteht ein Verdacht auf eine stimmliche Störung, ist ein Besuch beim HNO-Arzt, Logopäden oder Stimmtherapeuten ratsam. Für die Eigenwahrnehmung der Stimme kann es auch erst einmal helfen, einen eigenen gesprochenen Text auf Tonband aufzunehmen und anzuhören. Das ist zwar unangenehm, aber für den Anfang sehr aufschlussreich. Geht es darum, sein stimmliches Leistungsvermögen professionell zu steigern und Stimmstörungen nachhaltig vorzubeugen, bieten sich Trainings bei ausgebildeten SprecherzieherInnen, SchauspielerInnen oder GesangslehrerInnen an. Hier verhält es sich ähnlich zum Leistungssport: Ein kurzfristiges Audit kann hilfreich sein, tiefgreifende Verbesserungen lassen sich aber erst mit langfristigem Training erreichen.

Stimmbildung als festen Bestandteil der PR-Ausbildung etablieren

Solche Trainings sind selbstverständlich nicht günstig und somit auch nicht für alle finanzierbar. In verschiedenen SprecherInnenberufen ist die Stimmausbildung wesentlicher Bestandteil der Berufsausbildung: LehrerInnen erhalten Sprechunterricht in der Universität, bei SängerInnen liegt der Hauptfokus der Ausbildung ohnehin in der Stimmentwicklung und auch bei SchauspielerInnen ist das Training der Stimme ein wesentlicher Bestandteil. Warum nicht auch in der PR-Branche die Stimme schon in der Ausbildung fördern? Im PR-Studiengängen beispielsweise könnte man der Stimmausbildung in Form eines wiederkehrenden langfristig angelegten Wahlmoduls Raum geben. Zudem wäre es sinnvoll, Stimmausbildung als festen Bestandteil von PR-Volontariaten oder Traineeprogrammen zu verankern. Bei journalistischen Volontariaten im Rundfunk ist das oft schon fester Bestandteil, warum nicht auch in der PR? Das würde automatisch dazu führen, dass sich die PR-Branche bewusster mit Stimme als Teil der Kommunikation auseinandersetzt und insgesamt weiter professionalisiert. Denn Stimme ist ein Potenzial, das wir nutzen sollten. Nicht nur im Berufsleben, sondern auch im arbeitsfreien Alltag.

Wir müssen nicht alle perfekte RednerInnen sein, aber…

Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass alle PR-Professionellen perfekte RednerInnen mit optimal ausgebildeten Stimmen sein sollen. Zumal die Art, „wie wir etwas sagen“ auch immer dem Inhalt folgen sollte. Denn gut artikulierter Nonsens bleibt immer noch Nonsens. Aber es ist ratsam, einen gepflegten Stimmumgang zu beherrschen. Das bedeutet: Wir sollten einerseits in der Lage sein, unsere Stimme variabel in Tonfall, Sprachmelodie und Ausdrucksweise so einzusetzen, sodass sie zum Gesagten passt. Dabei sollte die entsprechende Technik so stabil sein, dass wir sie auch in Stresssituationen anwenden können. So erhöht eine geübte unsere Durchsetzungskraft, denn sie hilft dabei, unsere Argumente noch besser und überzeugender zu vermitteln. Auf diese Weise schaffen PR-Fachleute noch mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit vor Journalisten und Kunden – die Menschen, die sie in unserer täglichen Arbeit überzeugen sollten.  Andererseits sollten wir unsere Stimme durch eine gesunde Sprechtechnik präventiv vor Stimmstörungen schützen. Denn ohne unsere Stimme wäre vieles nichts.

 


Über den Autor

Felix Hübner hat über 15 Jahre professionellen Gesangsunterricht genommen und ist jetzt in der Kommunikationsberatung bei ORCA van Loon Communications tätig.

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