Warum es so verdammt schwer ist, den amerikanischen Präsidenten zu bannen

 

Hören Sie das? Diese Stille? Diese Stille im Netz, seit dem ehemals mächtigsten Mann der Welt sein beliebtestes Sprachrohr genommen wurde? Twitter hat vor einiger Zeit den Account von Donald Trump gesperrt. Super, oder? Warum soll es da überhaupt zwei Meinungen geben?

Auch ich habe zunächst instinktiv mit einem „Geil, endlich – nehmt ihm sein Lieblingsspielzeug weg!“ reagiert. Es dauerte jedoch nicht lange, zu bemerken, dass gerade in Social Media die Kommentare und Meinungen hauptsächlich in Pro und Contra aufgeteilt waren. Dass scheinbar jede Person diese Situation nur aus seinem eigenen Standpunkt heraus bewertet, der in vielen Fällen zwar durchaus gut begründet ist, aber keine weiteren Faktoren mit einbezieht.

Auch im Freundeskreis habe ich diese Diskussionen geführt und verwirrte Blicke geerntet, wenn wir uns bei der Personalie Trump zwar alle einig waren, aber ich bei der „frohen Botschaft“ über seine Account-Sperrung mit einem gequälten „Najaaaa…“ einleiten musste.

Gehen wir doch mal die Haupt-Argumente durch und ich spiele jeweils den Advocatus Diaboli. Der Einfachheit halber spreche ich auch im Folgenden nur von Twitter als prominentestem Beispiel in diesem Fall und als beliebtestes Tool des Mannes, um den es hier geht. Wohlwissend, dass Donald Trump auch von weiteren Online-Plattformen mehr oder weniger abgestraft wurde.

 

„Trump hat die Sperrung verdient, weil er auf Twitter gelogen und zur Gewalt aufgerufen hat!“

Jein. Lügen tun viele Menschen auf Twitter – oder nennen wir es „nicht belegbare Äußerungen verbreiten“. Auch prominente, reichweitenstarke Personen. Beispiel Verschwörungstheoretiker. Offen zur Gewalt aufgerufen hat er jedoch nicht. Er verwendet kriegerische Rhetorik und bewegte sich damit ein ums andere Mal auf Messers Schneide, aber hat nie gesagt, dass irgendwer z.B. das Kapitol stürmen soll.

Jeder, der in der Kommunikation arbeitet, weiß, wie wichtig Wordings manchmal sein können. Und wie Personen ihr Publikum beeinflussen können, ohne sich rechtlich angreifbar zu machen.

Im kürzlich abgeschlossenen Impeachment-Verfahren wurde noch darüber verhandelt, ob das, was sich (natürlich gezielt) zwischen den Zeilen von Trumps Tweets abspielte, als Anstiftung zum Aufstand gewertet werden kann. Ein Urteil, dem Twitter voraussichtlich nur mit großen Bauchschmerzen vorgriff. Letztendlich ist das Impeachment nicht erfolgreich gewesen. Mit Unterstützung von republikanischen Hardlinern, die ihn nach wie vor schützen (oder sich selbst und ihre Partei) sagt das natürlich nur wenig über die ethisch-moralische Katastrophe aus, zu der Donald Trumps Social Media Nutzung sich entwickelt hat.

 

„Es ist lächerlich, dass er erst jetzt gesperrt wurde! Das hätte viel früher passieren müssen.“

Das ist zu kurz gedacht. Hier müssen wir uns der Meinungsbildungs-Relevanz einer globalen Plattform wie Twitter bewusst sein. Die Sperrung eines so reichweitenstarken und für die weltweite Gesellschaft wichtigen Influencers ist das Nonplus-Ultra. Was geht noch über den amerikanischen Präsidenten? Wenn es ihn treffen kann inklusive der gesamten Macht seines Präsidentenamtes, dann müsste es auch jeden anderen treffen können – und zwar noch viel einfacher.

In dem Moment, wo Twitter diese Tür aufstößt, schafft das Netzwerk einen Präzedenzfall, an dem es sich in den kommenden Jahren immer wieder messen lassen muss. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Twitter-Community genau diesen Präzedenzfall in Zukunft nutzen möchte, um unbequeme und/oder polarisierende Influencer sperren zu lassen. Schließlich ging das beim Präsidenten der Vereinigten Staaten ja auch.

Sollte sich dahingehend ein Trend entwickeln, sehe ich Meinungsfreiheit, Meinungspluralität und Zensurkontrolle tatsächlich irgendwann in Gefahr. Es handelt sich um ein belegbares Druckmittel, dem sich kein Social Network ausgesetzt sehen möchte, weshalb mit der Relevanz des Influencers auch die Vorsicht des Networks steigt. Kleine Randnotiz an dieser Stelle: Während diese Zeilen entstanden sind, kam die Nachricht auf, dass der Wendler als reichweitenstarker SvD (Schwurbler vom Dienst) bei Instagram rausfliegt. Kein grober Verlust aus meiner persönlichen Wahrnehmung, auch kein Influencer von vergleichbarer Relevanz aber möglicherweise der Beginn des oben beschriebenen Trends? 

 

„Die Sperrung von Trump ist Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wo soll das hinführen?“

Die Sperrung kam nicht aus heiterem Himmel, sondern ging in mehreren Phasen vonstatten. Twitter hat mehrfach gewarnt, was passiert, wenn haltlose Behauptungen einer so einflussreichen Person wiederholt veröffentlicht werden. Irgendwann versah Twitter seine Tweets mit öffentlichen Warnhinweisen, stellte die Kommentarfunktion ab, schränkte die Teilbarkeit ein.

Diesen Warnungen hätte Trump bei entsprechender Vorlage von Beweisen für seine Behauptungen entgegenwirken können – Beweise, die es jedoch nicht gab. Und dann stellt sich bei mir die Frage, ob wir die Löschung wirkungsstarker, meinungsbildender, offensichtlicher Lügen und Hetze tatsächlich noch als „Zensur“ definieren können. Diese Form der präventiven Vorzensur erscheint mir nicht mehr so barbarisch, wenn jemand wie Donald Trump in der Lage ist, mit seinen Tweets einen ganzen Staat inklusive demokratischen Systems ins Wanken zu bringen und diese Macht bereits seit Jahren genau dafür zu nutzen scheint. Doch auch hier mögen die Meinungen auseinandergehen.

Einer Sache bin ich mir jedoch sicher: dem gesamtgesellschaftlichen Wohl waren viele von Trumps Tweets definitiv nicht zuträglich. Den Nutzern werden im Rahmen der letzten Eskalationsstufe des US-Präsidenten keine validen Infos mehr vorenthalten – egal, ob diese nun bequemer oder unbequemer Natur gewesen wären. Alles, was durch die Kontosperrung zensiert wird, sind, wie die jüngste Vergangenheit zeigte: Hetze, Polemik und ein verantwortungsloser Umgang mit der eigenen Vorbildfunktion.

Dinge, die viele Menschen reflektiert einordnen und zurückweisen können, viele andere Menschen jedoch nicht. Und an genau dieser Stelle, durch die unglaubliche Penetranz von Trumps Tweet-Verhalten, werden sie zu einer wirkungsvollen Waffe und einer Gefahr für Menschen, die beeinflussbar sind und/oder über eine geringere Medienkompetenz verfügen.

Welche Verantwortung hat ein Social Network und wann muss es sich unterordnen?

Diese drei Punkte zeigen: Mit klassischem Schwarzweiß-Denken kommen wir in diesem Fall nicht besonders weit. Blicken wir über den Tellerrand hinaus, so müssen wir weitere Argumente und Details in die eigene Wahrnehmung einbeziehen, um ein differenziertes Meinungsbild zu ermöglichen. Klar, Twitter ist ein privates Unternehmen und darf auf seiner Plattform (im Rahmen der Gesetzgebung) theoretisch machen, was es möchte.

Klar ist aber auch, dass die Plattform sich mit weit über 300 Millionen Nutzern – davon der Löwenanteil in den Vereinigten Staaten – auch ihrer meinungsbildenden Relevanz und der damit verbundenen Verantwortung bewusst sein muss. Ab einem so großen, weltweiten Millionenpublikum muss auch eine private Social Media Plattform in ihren Handlungen einem gemeinsamen Demokratieverständnis und einem Maß für Verhältnismäßigkeit unterliegen.

Die vergangenen vier Jahre unter Donald Trumps Führung haben die USA fast exakt in der Mitte in zwei erbittert kämpfende gesellschaftliche Lager gespalten, in denen Kompromisse und gemeinsames Handeln immer unwahrscheinlicher wurden. Twitter war demnach in der undankbaren Position, es gar nicht erst hätte richtig machen zu können. Egal, für welche Handlung das Netzwerk sich entschieden hätte, eines dieser beiden Lager wäre auf die Barrikaden gegangen. Den Weg, erst abzuwarten, dann zu warnen und mehrere Eskalationsstufen bis zur letztendlichen Sperrung am Kanal von Donald Trump zu durchlaufen, halte ich für taktisch am cleversten gewählt, um sich nicht dem Vorwurf eines willkürlichen Schnellschusses auszusetzen.

Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter, die es in einer modernen Gesellschaft gibt. Und Social Media bieten der weltweiten Gesellschaft die Möglichkeit, dieses Gut mal mehr und mal weniger viral, mal mehr und mal weniger nachvollziehbar auszuleben. Dies gilt für normale, nicht-berühmte Personen genauso wie für Präsidenten und Promis. Entsprechend sorgsam müssen wir also mit temporären oder dauerhaften Beschränkungen dieser Meinungsfreiheit umgehen, um Systeme nicht zum Bröckeln zu bringen, die genau um dieses Gut herum aufgebaut sind. Im Zentrum steht die Frage: Schützen wir Demokratie und Meinungspluralität, indem wir Personen schützen, die Demokratie und Meinungspluralität gefährden?

Es wird spannend werden, wie sich nicht nur Social Communities, sondern auch Networks als solche in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln. Und wie oft der Name „Trump“ in Zukunft fallen wird, wenn es darum geht, wie Netzwerke mit polarisierenden oder hetzerischen Meinungsbildnern und Multiplikatoren umgehen. Bis dahin – und das gebe ich gerne zu – genieße ich erst einmal die Ruhe, die auf Twitter und Co. eingekehrt ist.

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